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„Die Monster werden stärker“: Eine Nacht mit Der lange Weg zum Frieden

Nebliger Waldpfad bei Nacht mit kahlen Bäumen und Vollmond im Hintergrund. Geisterhafte Atmosphäre, düster und geheimnisvoll.

Ich bestellte Der lange Weg zum Frieden fast impulsiv und stellte es dann auf ein Regal, von dem es mich lang anstarrte. Jedes Mal, wenn ich vorbeiging, fragte ich mich, warum ich mir noch ein weiteres Buch über den Krieg gekauft hatte. Hatte ich nicht schon genug gelesen? Wäre es nicht klüger gewesen – gerade jetzt, während ich mich von einer Verletzung erhole und mein Körper Fettgewebe aus der Luft zu ziehen scheint wie Plastik, das sich an eine glühende Oberfläche schmiegt – zu einem angenehmen New-Age-Ratgeber über Gesundheit oder Gewichtsreduktion zu greifen?

Ich bestellte sogar einen. Ich öffnete ihn, schloss ihn nach zwei Minuten und legte ihn ins untere Regal zurück.

Dann, an einem regnerischen Abend, drängte Der lange Weg zum Frieden sich förmlich in meine Hände.

Ich las es die ganze Nacht hindurch. Und mehr als einmal liefen mir die Tränen über das Gesicht wie einem Kind.

Danilo Kiš – für mich immer noch einer der größten Schriftsteller aller Zeiten – schrieb beim Tod von Warlam Schalamow: „Es gibt Leben, die besser nie gelebt worden wären. Leben, die nichts als eine Kette von Unglück, Ungerechtigkeit und Leiden waren: die Erfahrung der Hölle auf Erden – einer Hölle, aus der man nie wirklich herauskommt, nicht einmal nach der Befreiung, nicht einmal nach der Rehabilitierung.“

Und doch gab es selbst in dieser Hölle immer einen kleinen Riss – gerade groß genug, damit ein erniedrigtes Leben in den Himmel blicken konnte.


Vielleicht ist dieser Riss der einzige Grund, warum wir überhaupt noch von Hoffnung sprechen können.

In jener Nacht reiste ich durch Landschaften, die den Krieg seit Jahrhunderten wie eine zweite Haut tragen:die schroffen, zerklüfteten Schluchten der Isonzo-Front, wo Soldaten in eisigem Wasser und Kalksteinwänden starben;die zerrissenen Balkanberge, wo sich Frontlinien schneller verschoben als menschliche Körper sich bewegen konnten; die schlammigen, endlosen Ebenen Galiziens, getränkt vom Leid der Infanterie; die zertrümmerten Backsteindörfer der Ukraine, wo die Geschichte – wieder einmal – beschlossen hat, dass der Frieden keinen Platz hat;und die staubigen, angespannten Landschaften des Nahen Ostens, die ich seit meiner Kindheit kenne und in denen der Krieg zum Alltag geworden ist.


Jede dieser Landschaften fühlt sich in diesem Buch wie eine offene Wunde an. Jeder Ort trägt die Erinnerung an Körper, die im Schlamm knieten, an Mütter, die auf Söhne warteten, an Kinder, die in der Angst aufwuchsen.

Während ich durch diese Seiten ging, spürte ich ihre Kälte, ihre Angst, ihre Ausdauer und ihre Verzweiflung.

Gibt es wirklich einen Weg, der woanders hinführt?

Was erzählen uns die Soldaten und Überlebenden – jene, denen die Autoren wieder eine Stimme geben – während sie uns, fast behutsam, wie eine Mutter ein Kind, auf dem einzigen gangbaren Weg in die Zukunft führen: dem Weg des Friedens?


Nicht nur Menschen – auch Landschaften sind erschöpft.

Zu viele Tränen, zu viel menschliches Leid sind in die Flüsse geflossen, die wir überqueren.

Warum erinnern, warum zurückkehren? Warum Schützengräben besuchen, Denkmäler, Gedenktafeln?Ist Erinnerung wirklich der einzige Weg, der zum Frieden führt?

Die Geschichte verbirgt die Glaskugel der Zukunft in ihren schmutzigen Händen. Wenn der Zeuge stirbt, stirbt das Gedächtnis. Wenn das Gedächtnis stirbt, verschwinden die Fakten. Und wenn niemand mehr übrig ist, der vom Krieg spricht, wird auch der Frieden zu einem Wort ohne Sehnsucht – ohne Licht.


Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist eine fragile Form des Lernens.

Wenn man einen Pfeil abschießt, ist der wichtigste Moment der Schritt zurück – der Raum, der nötig ist, damit der Pfeil frei fliegen kann. In diesem Raum des Rückzugs, der Leere, geschieht das Lernen.Und das Lernen des Friedens – falls die Zukunft noch fähig ist, ihn zu bauen – ist in den Lehren der Kriege verborgen.

Ich habe seit 2017 keine einzige Rezension, Kritik oder literarische Einschätzung mehr geschrieben. Davor habe ich über vierhundert verfasst.

Auch diese hätte ich nicht geschrieben, hätte mich das Buch nicht so tief bewegt.

Es gibt Bücher, die man liest – und Bücher, die man erlebt.

Noch nie habe ich aus einem Buch so viel über den Krieg gelernt wie aus diesem.

Dies ist kein Buch für jene, die Trost suchen, sondern für jene, die Wahrheit suchen.

Für jeden, der Frieden will, ist es Pflichtlektüre.

Und vielleicht am bemerkenswertesten: Boštjan Videmšek – einer der größten Journalisten Sloweniens und zweifellos sein eindrucksvollster Kriegsreporter – hat sich in keinem seiner bisherigen Werke so still und ungeschützt geöffnet wie hier. Ich stimme ihm nicht immer zu, weder in der Perspektive noch im Ton, doch gerade hier zeigt er die tiefste Schicht seines Handwerks: Er tritt zurück, wird leise, und lässt die Stimmen der anderen – Stimmen bis auf die Haut durchnässt, getragen aus so vielen Kriegen, so vielen Frontlinien, so vielen zerbrochenen Geografien – an seiner Seite gehen. Sie folgen ihm nicht, sie gehen mit ihm, schlammig, zitternd, beharrlich, als hätte er ihnen seinen eigenen Schritt geliehen, damit sie ein Gelände überqueren können, das sie allein nie hätten durchqueren können.


Mein aufrichtigster Dank gilt den Autoren für dieses außergewöhnliche Werk – und allen, die das monumentale Projekt Walk of Peace und seine europäische Erweiterung BEWOP – Beyond Walk of Peace tragen, ins Leben gerufen von PromoTurismoFVG, GECT/EZTS, ZRC SAZU, dem Historischen Institut Milko Kos, dem Festival èStoria und der Gemeinde Miren–Kostanjevica.

Für mich – leider gerade wegen seines Themas – ist dies das slowenische Buch des Jahres 2025.

In einer Zeit, in der die Monster stärker werden – lokal, regional, global – brauchen wir solche Bücher und Gemeinschaften, die sie halten können.


Bibliografische Angaben

Titel: Dolga pot do miru (Der lange Weg zum Frieden)

Autoren: Boštjan Videmšek und Abha Valentina Lo Surdo

Sprachliche Redaktion / Fachgutachterin: Dr. Petra voljšak

Verlag: UMco

Erscheinungsjahr: 2025

Projekt: Ein zentrales Ergebnis des europäischen Projekts BEWOP – Beyond Walk of Peace, umgesetzt in Zusammenarbeit mit PromoTurismoFVG, GECT/EZTS, ZRC SAZU, dem Milko-Kos-Historischen Institut, dem Festival èStoria und der Gemeinde Miren–Kostanjevica.

©2025 von Eva Premk Bogataj 

 

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