Neuroplastizität und Führung: Warum großartige Führungspersönlichkeiten niemals aufhören zu lernen
- Eva Premk Bogataj
- 16. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
„Sobald man aufhört zu lernen, beginnt man zu sterben.“ — Albert Einstein
Das Gehirn einer Führungspersönlichkeit steht niemals still
Wenn ich in all den Jahren, die ich in Strategie, Kommunikation und Kultur gearbeitet habe, eines gelernt habe, dann dieses:Das Gehirn einer Führungspersönlichkeit ist nie statisch. Jede Herausforderung, jeder Fehler und jede Entscheidung verdrahten es neu.
Ich begann meine Laufbahn in den Geisteswissenschaften – Sprachen, Literatur, Bedeutung. Heute verläuft mein Lernweg durch Kognitionswissenschaft, digitale Transformation und Nachhaltigkeit. Von Cambridge’s Science of Mind and Decision-Making über IBM’s Generative AI for Executives, Yale’s Connected Leadership bis zu Zürichs Sustainability Teaching habe ich gelernt: Führung bedeutet nicht, alles zu wissen – sondern, fähig zu bleiben, sich zu verändern.
Das Gehirn stimmt zu.

Die Biologie der Anpassung
Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst neu zu organisieren – ist die biologische Grundlage lebenslangen Lernens.Wenn wir etwas Neues erfahren, bilden Neuronen neue Verbindungen. Wenn wir wiederholen und reflektieren, werden diese Verbindungen zu Wissen gestärkt.
Donald Hebb brachte es auf den Punkt: „Neurons that fire together, wire together.“
Moderne Neurobildgebung (Doidge, 2007; Davidson & Goleman, 2023) zeigt, dass reflektiertes Lernen Hippocampus, präfrontalen Kortex und anterioren cingulären Kortex aktiviert – Regionen, die für Gedächtnis, Planung und Emotionsregulation verantwortlich sind.
Kurz gesagt:
Neugier baut Verbindungen auf.
Reflexion stabilisiert sie.
Bedeutung verwandelt sie in Weisheit.
Für mich ist das keine Theorie – es ist meine Biografie. Mein beruflicher Weg war ein Experiment in Neuroplastizität: Ich begann in den Geisteswissenschaften und erweiterte mich Schritt für Schritt in Bereiche, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam hatten – Projektmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, digitale Transformation, Nachhaltigkeit und KI.
Jedes neue Fachgebiet zwang mein Gehirn, anders zu denken.Von der analytischen Präzision des Projektmanagements über die Empathie der Kommunikation bis hin zur Systemlogik von ESG-Rahmenwerken und der abstrakten Logik der KI lernte ich, wie unterschiedliche Wissensarten beeinflussen, wie wir sehen, fühlen und entscheiden.
Zwischen 2008 und 2025 absolvierte ich Executive- und akademische Programme an führenden Institutionen – Cambridge, Yale, Dartmouth, Zürich, IBM, Google, der Weltbank und der EU-Akademie. Jedes einzelne veränderte mein Denken auf neue Weise:
Cambridge und Yale lehrten mich, Wissenschaft und Ethik zu verbinden.
IBM und Google öffneten die Architektur des digitalen Denkens.
Zürich und die Weltbank vertieften mein Verständnis von Nachhaltigkeit und Verantwortung.
Genf und AEIOU erinnerten mich daran, dass Sprache und Kultur die ersten Werkzeuge der Verbindung des Gehirns sind.
Meine Ausbildung machte mich nicht zur Spezialistin für alles – sie machte mich zu einer Brücke zwischen Welten, die selten miteinander sprechen. Das ist für mich der höchste Ausdruck von Neuroplastizität: offen genug zu bleiben, um sich weiterzuentwickeln.
Wie ich mein Gehirn trainiere, weiterzulernen
Früher dachte ich, Lernen sei etwas, das man „abschließt“. Ein Diplom, ein Titel, ein Häkchen auf einer Liste.Heute sehe ich es als neurologische Gewohnheit – eine, die ich aktiv trainiere.
So halte ich mein Gehirn lernfähig:
1. Interdisziplinäre Neugier. Ich lerne jenseits meines ursprünglichen Fachgebiets – von KI und ESG-Regulierung bis zur Neuropsychologie. Jedes neue Gebiet verändert, wie ich über Menschen und Systeme denke.
2. Mikrolernen jeden Tag. Zehn Minuten konzentriertes Lesen oder Nachdenken halten die Synapsen aktiv – wie ein mentales Stretching.
3. Reflexion statt Reaktion. Über das, was ich lerne, zu schreiben – nicht nur es zu lesen – stärkt die Integration im präfrontalen Kortex.
4. Lehren als Selbst-Neuverdrahtung. Jedes Mal, wenn ich ein Konzept erkläre, vertieft sich mein eigenes Verständnis. Lehren verändert das Gehirn der Lehrenden sogar stärker als das der Lernenden (Fischer, 2020).
Neuroplastizität ist für mich keine Theorie. Sie ist eine gelebte Praxis – jedes Mal, wenn ich studiere, lehre, schreibe oder mich neuen Kontexten anpasse, spüre ich, wie sich mein Geist erweitert.
Lernen, Stress und das Führungsgehirn
Unter Druck übernimmt die Amygdala – das Alarmsystem des Gehirns.Aber mit Training können Führungskräfte den präfrontalen Kortex auch in Stresssituationen aktiv halten. Das ist der Unterschied zwischen reaktivem Management und adaptiver Führung.
Studien (Edmondson, 2023; Cozolino, 2022) zeigen, dass psychologische Sicherheit in Teams Belohnungsbahnen statt Bedrohungskreisen aktiviert – was Zusammenarbeit, Innovation und Resilienz stärkt.
Gehirne – und Organisationen – wachsen durch Feedback, nicht durch Angst.
Die plastischen Gewohnheiten einer lernenden Führungskraft
Neuroplastische Führungskräfte schaffen Kulturen, die lernen:
Reflexion vor Reaktion. Pause. Lass die neuronalen Lernmuster aufholen, bevor du entscheidest.
Experimentieren ohne Ego. Lernen ist Bewegung im Irrtum – wichtig ist Wiederholung, nicht Perfektion.
Denken über Grenzen hinweg. Jedes neue Feld (KI, Nachhaltigkeit, Bildung) stärkt neuronale Flexibilität.
Mentoring als Feedback. Lehren verdrahtet beide Gehirne neu – das der Gebenden und das der Empfangenden.
Ruhe und Erneuerung. Schlaf, Natur und Stille sind die Reparaturzyklen des Gehirns. Neuroplastizität braucht Erholung.

Was uns die Neurowissenschaft lehrt
Das erwachsene Gehirn bleibt plastisch – Alter verlangsamt, aber Neugier beschleunigt es.
Dopamin treibt Motivation an; Reflexion macht sie nachhaltig.
Wenn man Unsicherheit als Neugier umdeutet, entsteht Wachstum statt Angst.
Lernen verändert nicht nur Wissen – es verändert Identität.
Abschließende Reflexion
Führung bedeutet heute weniger Kontrolle und mehr kognitive Beweglichkeit –die Fähigkeit, schneller zu lernen, zu verlernen und neu zu lernen, als sich die Welt verändert.
Ich sehe Lernen inzwischen als moralische Verantwortung:ständig zu wachsen, mich anzupassen und zu entwickeln – um Ideen, Menschen und Systeme zu verbinden, die sich sonst nie begegnen würden.
Neuroplastizität ist nicht nur, wie das Gehirn wächst. Sie ist, wie eine Führungspersönlichkeit im Wandel lebendig bleibt.
Literatur & Weiterführende Lektüre
Doidge, N. (2007). The Brain That Changes Itself. Viking Penguin.
Davidson, R. & Goleman, D. (2023). Altered Traits. Penguin.
Cozolino, L. (2022). The Neuroscience of Human Relationships. W. W. Norton & Company.
Dweck, C. (2022). Mindset: The New Psychology of Success. Random House.
Edmondson, A. (2023). The Right Kind of Wrong: Learning to Fail Well. Simon & Schuster.
Fischer, K. W. (2020). Dynamic Skill Theory and Brain-Based Learning. Harvard Graduate School of Education.
Harvard Business Review (2024). The Neuroscience of Lifelong Learning.
5 Dinge, die man sich merken sollte
Neuroplastizität ist lebenslang – dein Gehirn lernt, solange du es zulässt.
Reflexion verdrahtet schneller als Wiederholung.
Neugier, nicht Gewissheit, trägt Führung.
Lehren ist getarntes Selbstlernen.
Wachstum ist keine Strategie – es ist eine Lebenshaltung.



