top of page

Was im Gehirn passiert, wenn wir an uns selbst zweifeln

Die Verbindung zwischen Arbeitsgedächtnis, Angst und innerem Dialog

Wenn wir anfangen, an uns selbst zu zweifeln, ist das Gehirn nicht gegen uns – es versucht, uns zu schützen.

Zweifel als kognitiver Reflex

Jeder kennt diesen Moment: Das Wort bleibt stecken, das Herz schlägt schneller, der Kopf wird leer. In diesem Augenblick aktiviert das Gehirn, was Neurowissenschaftler Selbstüberwachung nennen – ein eingebautes System zur Leistungsüberprüfung.

Doch bei manchen Menschen wird dieser Reflex zur kognitiven Falle.Anstatt Fehler zu korrigieren, entsteht eine Schleife des Zögerns, in der der präfrontale Kortex (Planung und Beurteilung) und die Amygdala (Angst) miteinander „streiten“.

Das Ergebnis: weniger Klarheit, mehr inneres Rauschen.
Eine Person steht am Ufer eines Sees oder im Tal und blickt in den Nebel – Symbol für Reflexion, Selbstbewusstsein und stille Stärke.

Arbeitsgedächtnis – die Bühne des inneren Sprechens

Das Arbeitsgedächtnis ist nicht nur ein Speicher für kurzfristige Informationen – es ist die geistige Bühne, auf der unser innerer Dialog stattfindet.

Wenn wir mit uns selbst sprechen („Schaffe ich das?“, „Was, wenn ich versage?“), aktivieren wir den dorsolateralen präfrontalen Kortex (Gedankenorganisation) und den anterioren cingulären Kortex (Fehlererkennung und Konfliktbewertung). Ist dieser innere Dialog konstruktiv, reguliert das Arbeitsgedächtnis die Emotionen wirksam. Wird er jedoch kritisch oder ängstlich, lenkt das Gehirn Energie von der Problemlösung auf die Selbstbewertung um.

Selbstzweifel sind kein Zeichen von Schwäche – sie sind die Folge eines überlasteten Arbeitsgedächtnisses.

Wenn Angst die Aufmerksamkeit entführt

In Angstzuständen übernimmt die Amygdala die Kontrolle über die Aufmerksamkeit. Anstatt sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, richtet das Gehirn den Fokus auf mögliche Bedrohungen – auch imaginierte.

EEG- und fMRT-Studien (Eysenck, 2020; Bishop, 2022) zeigen, dass hohe Angst die Effizienz des präfrontalen Kortex verringert, was zu geringerer Leistung, weniger Selbstvertrauen und stärkerem innerem Monolog führt.

Ironischerweise gilt: Je mehr wir versuchen, den Zweifel zu unterdrücken, desto lauter wird er.

 Inneres Sprechen – Freund oder Kritiker

Unsere innere Stimme ist kein poetisches Bild – sie ist ein neurologisches Werkzeug der Selbstregulation. Mit ihr ordnen wir Gedanken, lenken Emotionen und üben Empathie.

Die Chemie bestimmt den Ton:

  • Dopamin unterstützt das Gefühl von Fortschritt („Ich komme voran.“).

  • Cortisol aktiviert die Abwehrsprache („Was, wenn ich scheitere?“).

In der Praxis bedeutet das: Der Ton des inneren Sprechens verändert die Gehirnaktivität. Ermutigendes Selbstgespräch erhöht die Aktivität im präfrontalen Kortex und beruhigt die Amygdala.

Was wir zu uns selbst sagen, ist keine Metapher – es ist Physiologie.

Wie man das Gehirn beruhigt, wenn Zweifel auftauchen

  1. Fragen verändern. Statt „Was, wenn es schiefgeht?“ frage: „Was brauche ich, um erfolgreich zu sein?“→ Das Gehirn wechselt vom Verteidigungs- in den Lösungsmodus.

  2. Die äußere Stimme nutzen. Sprich mit dir selbst in der dritten Person („Eva, du schaffst das.“).→ Studien (Kross & Ayduk, 2021) zeigen, dass dies die Amygdala-Aktivität reduziert und das Selbstvertrauen stärkt.

  3. Atmen, nicht überdenken. Langsames Atmen (4–6 Atemzüge pro Minute) aktiviert den Vagusnerv, beruhigt das limbische System und stellt den rationalen Fokus wieder her.

  4. Anspannung als Signal sehen. Angst ist kein Feind – sie ist die Einladung des Körpers, präsent zu sein.

  5. Freundlichkeit üben. Selbstkritik löst dieselbe Stressreaktion aus wie physische Bedrohung; Freundlichkeit hingegen setzt Oxytocin und Serotonin frei.


Was Führungskräfte wissen sollten

Führung verstärkt Selbstzweifel – jede Entscheidung ist sichtbar, jedes Wort wird interpretiert.Doch die Neurowissenschaft zeigt, dass emotionale Regulation ansteckend ist – Gelassenheit überträgt sich.

Führungskräfte, die verstehen, wie Zweifel funktioniert, können ihn als Information statt als Drama nutzen:

  • Verletzlichkeit statt Perfektion. Wenn Führungskräfte Unsicherheit anerkennen, steigt das Oxytocin-basierte Vertrauen in Teams (Zak, 2017).

  • Metakognition trainieren. Beobachte, wie du unter Druck denkst – das aktiviert den anterioren cingulären Kortex und verbessert die Fehlerkorrektur.

  • Reflexion statt Reaktion. Eine fünfminütige Pause vor der Antwort hilft dem präfrontalen Kortex, die Kontrolle von emotionalen Schaltkreisen zurückzugewinnen.

Gute Führung bedeutet nicht, Zweifel zu beseitigen – sondern zu lehren, wie man im Zweifel klar bleibt.

Fazit

Selbstzweifel sind kein Fehler – sie sind ein biologischer Ausdruck des Bedürfnisses nach Sicherheit. Das Gehirn greift uns nicht an, sondern fragt: Bin ich sicher? Kann ich mir selbst vertrauen?

Wenn Körper, Verstand und Sprache zusammenarbeiten, verwandelt sich Zweifel in Bewusstsein.

Innerer Frieden bedeutet nicht Abwesenheit von Zweifel – sondern die Fähigkeit, ihn zu hören, ohne ihm zu glauben.

5 Dinge zum Mitnehmen

  1. Zweifel ist ein Schutzmechanismus, kein Defekt.

  2. Das Arbeitsgedächtnis ist die Bühne des Selbstgesprächs – halte sie frei.

  3. Angst verengt den Fokus – Ruhe bringt Klarheit zurück.

  4. Worte verändern Chemie – sprich mit Präzision und Freundlichkeit zu dir selbst.

  5. Führung beginnt mit Selbstregulation – das ruhigste Nervensystem gewinnt.


Literatur und weiterführende Quellen

  • Eysenck, M. W. (2020). Anxiety and Cognition: The Control of Thought and Emotion. Psychology Press.

  • Bishop, S. J. (2022). Neural Mechanisms of Anxiety and Attentional Control. Nature Reviews Neuroscience.

  • Kross, E. & Ayduk, Ö. (2021). Self-Distancing: Theory, Research, and Current Directions. Annual Review of Psychology.

  • Lieberman, M. D. (2021). Social: Why Our Brains Are Wired to Connect. Crown Publishing.

  • Davidson, R. & Goleman, D. (2023). Altered Traits. Penguin.

  • Cozolino, L. (2022). The Neuroscience of Human Relationships. W. W. Norton & Company.

  • Harvard Business Review (2023). The Emotional Habits of Resilient Leaders.

  • Zak, P. (2017). Trust Factor. AMACOM.

©2025 von Eva Premk Bogataj 

 

bottom of page